Kapitel 1 - Leben in vollen Zügen
Je länger die Bekanntschaft zwischen ihm und Gloria Sagarra andauerte, desto deutlicher spürte er, dass ihr äußeres nicht mit ihrem Charakter übereinstimmte. Es war die sympathische Schale um einen völlig anderen Kern, eine attraktive Fassade, so mutmaßte er, hinter der sich Trümmer ungelebten Lebens verbargen. Schon bald vermutete er die Gründe dafür in einem zutiefst gestörten Verhältnis zu ihrem Vater oder in einer unverarbeiteten Enttäuschung in ihrer Kindheit oder Jugend. Wahrscheinlich traf beides zu. Die Wellen von Resignation, die dieser innerste Kern gelegentlich in Form verbaler Andeutungen aussandte und eine in solchen Fällen in ihren Augen sich widerspiegelnde existentielle Trauer waren ihm dafür Beweis. Ebenso verräterische Nebensätze, spontane Antworten und Einwürfe, die sie, wenn sie sich deren Brisanz bewusst wurde, meist korrigierte. Dann folgte meist ein brüskes Zurückziehen hinter einer mal abwiegelnden, mal fast aggressiven Selbstschutzmauer. Immer mehr wurde Hülferich deutlich, dass da ein Leben unter dem Mehltau von Perspektivlosigkeit, wachsender Unsicherheit, Einsamkeit und alltäglichem Frust zu ersticken drohte. Verstärkt durch Glorias fatal wachsende Neigung, sich ihre Situation schön zu reden, um sich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen. Je mehr er sich dessen bewusst wurde, umso mehr reizte es ihn, die wahren Gründe dafür zu entdecken.