Kapitel 1 - Leben in vollen Zügen
Er hatte von einer generellen Abwertung der Kultur in den Medien gesprochen, die gerade auch im Rundfunk ihre Spuren hinterlassen habe. Content sei jetzt angesagt, was aber nicht unbedingt mehr Inhalt bedeute, und hinter dem Modewort Programmoptimierung verberge sich in der Regel Programmausdünnung, aber auch hinzugefügt, dass er nicht besonders glücklich sei über seine Einstellung. Glorifizierung der Vergangenheit sei ein untrügliches Zeichen von geistiger Verhärtung, von älterwerden überhaupt, dessen sei er sich bewusst. Außerdem nehme trotz gegenteiliger Bestrebungen die Bürokratie ständig zu. Sendungstitel müssten geliefert werden, bevor Autoren begonnen hätten, ihre Manuskripte zu schreiben. Form und Länge von Pressetexten müssten sich an der Kapazität von Eingabefeldern orientieren, inhaltliche Notwendigkeiten spielten allenfalls noch am Rande eine Rolle. Außerdem seien die Redaktionen personell unterbesetzt und würden kontinuierlich weiter ausgedünnt. Da komme es schon mal vor, dass Texte aus Zeitgründen einfach durchgewunken würden.
»Wir sind auch deutlich unterbesetzt«, erwiderte sie. Es scheine überall so zu sein. Vor allem aber entspräche ihre Arbeit nicht dem, was sie eigentlich habe machen wollen.
»Ich habe Kulturmanagement studiert und leiste stupide Verwaltungsarbeit. Vor allem hasse ich es, wenn Pausen wegen völlig unnötiger Sitzungen ausfallen. Da kommt man nicht mal zum Essen. Manchmal renne ich abends mit hängendem Magen zur Straßenbahn, um den Zug zu kriegen.«
Das hatte er schon erlebt. Als sie einmal in Darmstadt auf dem Bahnsteig klagte, sie sei schrecklich hungrig, weil sie partout keine Zeit zum Essen gefunden habe, lief er an einen Süßwarenautomaten und zog einen Schokoriegel. Als er ihr den anbot, riss sie gierig die Verpackung auf, biss ein großes Stück ab und kaute mit sichtlichem Behagen.
»Das war gut! Gleich noch mal.«
Sie strahlte ihn an und biss erneut herzhaft zu. Arnulf hörte, wie sie die Nüsse mit ihren Zähnen genüsslich zermalmte. Schon nach einer Minute hatte sie den Riegel aufgegessen. Als sie, fast noch kauend, zum Sprechen ansetzte, sah er, dass ihre Zähne von Schokolade gesprenkelt waren.