Kapitel 1 - Leben in vollen Zügen

vor sich errichtet hatte, denn das reizte ihn außerordentlich. Dazu, das war ihm klar, benötigte er eine Strategie, und weil er die noch nicht hatte, insistierte er nicht länger. Man sah sich ja doch ab und an. Es hatte keine Eile.

Häufig unterhielten sie sich über Kunstausstellungen. Malerei sei ihre große Leidenschaft, verriet sie ihm. Angefangen habe das während ihrer Schulzeit mit einer Kunsterzieherin, die es verstanden habe, ihr Interesse dafür zu wecken. Besonders gefielen ihr die alten Meister. Für Botticelli schwärme sie regelrecht. Für Musik und Literatur interessiere sie sich natürlich auch, aber doch weniger. Später luden er und Monika sie gelegentlich zu gemeinsamen Ausstellungsbesuchen ein. In diesem Zusammenhang erfuhr er auch von ihrer Begeisterung für Fotografie. Sie sei für sie so etwas wie ein zweites Leben. Ihre Bilder klebe sie in Alben ein, die sie zusätzlich mit Prospekten, Eintrittskarten und anderen Kleinigkeiten ausgestalte. Das bereite ihr große Freude. Als sie sich ihre erste Digitalkamera anschaffen wollte, bat sie ihn, sie doch zu beraten, weil sie aus Gesprächen wisse, dass er schon länger digital fotografiere.

Eines Abends saßen sie auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug, den die Bahn längst hätte bereitstellen müssen, denn er wurde hier eingesetzt. Arnulf berichtete von einer Postkarte, die er von einem Autor erhalten hatte. Er habe ihn nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub in Andalusien zu Sendungen über die spanische Aufklärung angeregt, einem Thema, über das es in Deutschland kaum Material gebe. In dem Gespräch kam er auf Francisco Goyas Capriccios zu sprechen, die ein zentrales Werk der spanischen Aufklärung seien und dem Maler beinahe das Leben gekostet hätten. Gloria nickte heftig und sagte, gerade Goya gehöre zu ihren Lieblingsmalern. Und dann schwärmte sie begeistert von einem neu erschienenen Kunstband über die großen Spanier von Velásquez bis Antoni Tàpies. Leider sei der so teuer, dass sie ihn sich nicht leisten könne, zumindest im Augenblick nicht. Aber vielleicht zu Weihnachten; da bekäme sie etwas Geld von ihren Großeltern zugesteckt. »Und wie ist das mit Ihren Eltern?«, fragte Arnulf. Beinahe hätte er seine Frage noch auf Freunde erweitert, schluckte das aber hinunter. Unvermittelt war ihm in den Sinn gekommen, dass hier eines der Rätsel verborgen sein könnte, die ihm Gloria Sagarras Verhalten aufgab.